(Beitrag von 2020)
Im Voraus möchte ich darauf hinweisen, dass alle Gastbeiträge sehr individuell sind. Jeder Betroffene hat seine eigene Geschichte. Bezüglich Therapiemöglichkeiten und anderer medizinischer Aspekte sollte man sich also unbedingt mit den eigenen behandelnden Ärzten in Verbindung setzen.
Die Namen der Patienten wurden aus datenschutztechnischen Gründen abgeändert und pseudonymisiert.
Im Folgenden findet ihr den Gastbeitrag von Tanja R., die ihre Geschichte mit der Welt teilen möchte. Vielen Dank dafür!
Das ist meine Geschichte
Die meisten Erfahrungsgeschichten von Lungenhochdruck betroffenen Menschen beginnen fast immer mit diesem Satz: „Früher war ich ein sehr aktiver Mensch, dies hat sich mit meiner Diagnose total geändert, somit mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt und mich aus der Bahn geworfen.“ Mit diesem Satz fängt auch meine Geschichte an.
Vor Jahren hatte ich eine schwere beidseitige Lungenembolie. Auf der Intensivstation versuchte man mit Infusionen, die das Blutgerinnsel lösen sollten, die Embolie in den Griff zu bekommen. Das hat leider nicht funktioniert, denn meine Lungenarterien waren zu 60% verstopft, was somit zu einer Notoperation führte. Die Ärzte konnten nur auf der rechten Seite die Blutgerinnsel entfernen, denn mein Körper war sehr geschwächt und eine OP, um die Thromben aus der linken Hauptarterie zu schälen, hätte ich nicht überlebt. Nun glaubte man fest daran, dass sich mein Zustand verbessern würde. Doch dem war nicht so, das böse Erwachen kam nach der ersten großen Nachuntersuchung. Diagnose: Chronisch thromboembolische pulmonale Hypertonie. Mein Mann und ich saßen im Sprechzimmer meiner Pneumologin, wir waren wie in Trance. Ein Meer von Emotionen eroberte meine Gedanken und ich fing an zu weinen wie ein kleines Kind, ich fing hilflos und verlassen an zu weinen. Ich dachte an meine Kinder, meinen Mann. Mein Gehirn war nur auf die Worte ‚keine Heilung’ fixiert, sodass Sätze wie „Es gibt ganz spezielle Medikamente gegen diese Krankheit und es wird immer weiter geforscht.“, keinen Platz mehr in meinem Kopf fanden.
Durch meine körperliche Einschränkung fielen alle sportlichen Aktivitäten ins Wasser, auch sonst hat sich mein Leben total verändert. Manchmal bin ich so wütend stelle mir die Frage: „Warum Ich?" Warum? Warum muss meine Familie deshalb meine schlechte Laune aushalten, meine innere Wut, die ich verarbeiten muss, um nicht ganz meinen Verstand zu verlieren. Anfangs riefen mich noch Freunde an, mit der Zeit ließen diese Anrufe aber nach, bis sie irgendwann nicht mehr existierten. Treffen kann ich auch nicht mehr planen, ich weiß ja nicht wie es mir an diesem Tag geht. Da stößt man nun leicht auf Unverständnis bei Freunden, Familie und Mitmenschen. Bevor ich mich rechtfertigen muss, damit diese Menschen meine Krankheit und mich verstehen - verstehen wie es mir wirklich geht - was und wie ich fühle, ziehe ich mich lieber zurück und muss mich nicht als Mensch zweiter Klasse fühlen. Die Menschen wissen nicht was für ein immenser Kraftaufwand schon das morgendliche Duschen oder das Retuschieren der Augenringe ist, wenn man die Nacht vor Schmerzen nicht schlafen konnte. Die Hausarbeit ist fast unmöglich - man muss sich vorstellen, dass man zig Kilo am Körper hängen hat, ganz wenig Luft zum Atmen bekommt, keinen Schritt ohne Herzrasen erledigen kann. Beim Spaziergang auf ebener Strecke rennen ältere Menschen fast an mir vorbei und ich möchte vor Verzweiflung einfach nur laut losschreien. Dazu kommen die furchtbaren Nebenwirkungen der starken Medikamente - Schwere Magenbeschwerden, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Durchfall, Kieferschmerzen oder Stimmbänderlähmungen, um nur einige davon zu nennen. Da soll man noch die Nerven behalten und seine Emotionen kontrollieren. Da wir Betroffenen ein fast normales und gesundes Aussehen haben - es ist ja schließlich eine unsichtbare Krankheit - muss man sich dann auch noch dumme Sprüche anhören wie „Siehst doch super aus!", „Ich glaube du simulierst ja nur.“, oder „Du hast doch das schönste Leben". Diese Aussagen führen dazu, dass ich mich immer mehr zurückziehe. Anfangs hatte ich noch genug Kraft und konnte mich wehren, im Moment befinde ich mich aber in einem großen Loch und arbeite hart daran mit all meinen Ärzten einen Ausweg zu finden.
Früher kam ich mit allen Problemsituationen zurecht. Heute bin ich nervlich kaum noch belastbar. Es wird mir manchmal alles zu viel und da möchte ich den Kopf in den Sand stecken, nichts hören und nichts sehen, einfach meine Ruhe haben. Bis tief in die Nacht ist mein Kopf ständig am Arbeiten, wenn ich mir vorstelle was ich am nächsten Tag alles machen muss. Dann schlafe ich irgendwann endlich ein, um es morgens kaum aus dem Bett zu schaffen. Oft bekomme ich bei jeder kleinsten Bewegung Herzrasen. Die Wut ist in den Momenten direkt wieder da und die Hilflosigkeit ergreift Besitz von mir. Wenn die Einsamkeit und das Unverständnis mir Gesellschaft leisten, dann laufe ich auf dem Zahnfleisch. Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass man die Menschen sensibilisiert und ihnen diese schreckliche Krankheit näherbringt. Es ist wichtig, dass sie Empathie dafür entwickeln, die jeder normale Mensch in sich trägt. Doch immer wieder habe ich das Gefühl, dass sie bei vielen eingeschlafen oder abgestumpft ist.
Das einzige Positive, was mir diese Krankheit gebracht hat, sind diese wunderbaren Menschen, die ich kennenlernen durfte. Menschen, die tagein tagaus kämpfen - so wie ich - die von Pulmonaler Hypertonie genauso betroffen sind. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Zusammen sind wir stark und wir werden weiterkämpfen, bis es eine ‚Heilung’ gibt. Vielleicht nicht für uns, aber für die kommenden Generationen.
Ich möchte mich herzlichen bedanken, dass ich mich bei diesem tollen Projekt mitteilen durfte. Wir brauchen eine ‚Heilung’. Das höchste Gut ist das Leben und die Gesundheit! Das Leben ist ein Geschenk, ich liebe das Leben und möchte leben, leben, leben!
Immer in unseren Herzen und Gedanken sind die Menschen, die den Kampf gegen die Pulmonale Hypertonie verloren haben. Wir werden euch nie vergessen.
"La vida es un regalo vivela".
10 Fragen an Tanja R.
1. Mit wie vielen Jahren wurde bei dir PAH diagnostiziert?
Ich war 43 Jahre alt.
2. Wie hast du dich damals gefühlt, als du Diagnose bekommen hast?
Verzweifelt, ich hatte furchtbare Angst vor dieser seltenen, unbekannten Krankheit.
Verlassen und alleine.
3. Sprichst du mit anderen Menschen über deine Erkrankung?
Nur mit meiner Familie.
4. Sprichst du oft mit deiner Familie darüber?
Manchmal.
5. Wie oft begegnen dir Menschen mit Unverständnis?
Jeden Tag.
6. Fühlst du dich mit deiner Krankheit alleine?
Anfangs meiner Diagnose fühlte ich mich verlassen. Inzwischen wurde es zu Gewohnheit und ich kann nun besser damit umgehen.
7. Hast du Kontakt zu anderen Menschen, die an PAH leiden?
Ja, ich bin aktives Mitglied einer Selbsthilfe-Gruppe und dort Teil des Vorstandes. Jeden Tag habe ich Kontakt zu anderen Menschen mit PH und versuche ihnen mit aufheiternden Worten Mut zu machen zu helfen. Wir pflegen den Kontakt mit einer Whats app-Gruppe unserer Mitglieder des Vereins, so können wir sofort Fragen, Ängste und Tipps geben.
8. Was macht dir am meisten Angst?
Verschlechterung der PH und dass ich auf andere Menschen angewiesen bin und deren Hilfe benötige.
9. Welche Themen haben dich bisher im Verlauf der Erkrankung am meisten belastet?
Die Ungewissheit wie alles weitergeht. Das Unwissen vieler Ärzte. Vor allem weil es eine unsichtbare Krankheit ist, trifft man sehr oft auch auf Unverständnis bei Fachkräften.
10. Hast du Kinder? Wenn ja, hast du Angst, dass deine Kinder auch an PAH leiden könnten?
Ich habe 2 Kinder, die Angst ist groß. Ich hoffe jeden Tag, dass sie von dieser Krankheit verschont bleiben.
Vielen Dank an Tanja R. für deine Offenheit!
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